Kambodschas Nationalsprache Khmer kennt neben den beiden Geschlechtern männlich und weiblich auch noch das dritte Geschlecht kteuy, das eine Person beschreibt, die die körperlichen Merkmale des einen Geschlechts, aber das Verhalten des anderen aufweist. Allerdings ist die Linguistik hier schon deutlich weiter als die Situation für die LGBTQ+ Community im Land. Zwar findet seit 2003 regelmäßig eine Gay Pride in der Hauptstadt Phnom Penh statt, doch gleichzeitig machte auch Premierminister Hun Sen Negativschlagzeilen, weil er im Jahr 2007 seine lesbische Adoptivtochter verstieß. Nachfolgend relativierte er seine Handlungen jedoch dadurch, dass er öffentlich erklärte, er empfehle Eltern nicht, es ihm nachzutun. Reporterin Sarah war als allein reisende Frau in dem asiatischen Land unterwegs und hat sich ein Bild über die Lage der LGBTQ+ Community in Kambodscha machen können. Ihre Analyse zum Thema LGBTQ+ und schwul in Kambodscha jetzt auf Couple of Men.
von Sarah Tekath
Lage der LGBTQ+ Community weltweit: Where to be gay?
LGBTQ+ in Kambodscha – Implementieren, nicht nur akzeptieren
Auch wenn Homosexualität in der Geschichte des Landes niemals illegal war, so werden gleichgeschlechtliche Beziehungen trotzdem vor dem Gesetz nicht anerkannt. Auch Anti-Diskriminierungsgesetze gibt es nicht. Ganz zu schweigen von dem Recht auf Ehe oder Adoption.
Einer, der sich für die Verbesserung der Gesetzeslage für LGBT in Kambodscha einsetzt, ist Sidara Nuon, Koordinator des 2010 gestarteten SOGI-Programms des Cambodian Center for Human Rights (CCHR). Die Abkürzung SOGI steht hier für Sexual Orientation und Gender Identity. Die NGO setzt sich dafür ein, eine Rechtsgrundlage zu schaffen, auf der eine starke LGBT-Community entstehen kann. Der Aktivist erklärt: „Viele Menschen in Kambodscha glauben immer noch, dass LGBT aus einem anderen Universum kommen. Gerade darum ist es wichtig, dass wir Aufmerksamkeit schaffen in der Gesellschaft für die Existenz und in Folge auch für die Rechte von LGBT.“ Aktuell herrsche nämlich gerade in der Politik die Ansicht vor, dass es sich bei LGBT um eine Minderheit handele, deren Bedürfnisse nicht unbedingt zu den obersten Prioritäten zählen.
Gay Travel Index 2020/21
Die jährlich aktualisierte Rangliste des Gay Travel Index für 2021 von Spartacus informiert Reisende über die Situation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender in 202 Ländern und Regionen verteilt auf die ganze Welt. Welche Länder sind schwulenfreundlich? Wo müssen LGBTQ+ Reisende besonders aufpassen?
Deshalb bemüht sich CCHR derzeit konkret darum, dass LGBT im Land das Recht gegeben wird, zu heiraten, da Artikel 45 der Verfassung Ehe immer noch als eine Gemeinschaft zwischen Mann und Frau definiert. Gleichzeitig sollen Anti-Diskriminierungsgesetze implementiert werden, da Mitglieder der Community starken Herabsetzungen, Beleidigungen und Mobbing in der Schule und am Arbeitsplatz ausgesetzt seien. Das oben genannte linguistische dritte Geschlecht kteuy werde dabei als Schimpfwort benutzt, zeigt der Ende 2012 veröffentliche Report ‚Rainbow Khmer: From Prejudice to Pride‘ von CCHR.
Diskriminierung durch Lehrer in Kambodscha
Die konservative Haltung der Eltern-Generation zeigt sich auch bei den Lehrern an kambodschanischen Schulen, denn Untersuchungen ergaben, dass mehr als die Hälfte des Lehrkörpers sich aktiv an Hänseleien von LGBT beteiligt. CCHR hat daher ein Programm erarbeitet, um in Schulen mehr Verständnis für das Spektrum sexueller Identität zu schaffen. „Allerdings sind die Schüler nicht das Problem“, sagt Aktivist Sidara Nuon, „die jüngere Generation ist tolerant. Aber wenn die Lehrer den Lehrstoff einfach ignorieren oder selbst nicht dahinterstehen, bringt der beste Lehrplan nichts.“ Daher will die NGO, sobald das SOGI-Programm auch offiziell Teil des Lehrplans geworden ist, ebenfalls Workshops für Lehrer oder Unterrichtsentwürfe anbieten.
Nach dem Coming-out von Eltern verstoßen
Aber nicht nur im öffentlichen Raum, wie etwa der Schule oder der Arbeit, erleben LGBT Anfeindungen, sondern auch im eigenen persönlichen Umfeld. Die Vermutung der Regierung, dass es kaum Anhänger der LGBT-Community in Kambodscha gibt, basiert vornehmlich darauf, dass ein Coming-out mit erheblichen Konflikten und Risiken verbunden ist, sodass sich viele dagegen entscheiden. Erfahre eine Familie, dass ihr Sohn oder ihre Tochter homosexuell ist, reagierten die Eltern oftmals mit Gewalt, Hausarrest oder Behandlungen mit traditionaler Khmer-Medizin, weiß Sidara Nuon. Nicht selten würden auch Heiler hinzugezogen, um die bösen Geister zu vertreiben, die die Homosexualität verursachen.
Viele seien auch der Ansicht, Homosexualität sei etwas, das aus dem Westen importiert wurde, um traditionelle kambodschanische Familien-Werte zu unterwandern oder das durch Chemikalien im Essen hervorgerufen werden kann. Konservative Buddhisten seien überzeugt, dass es sich bei Homosexualität um eine Strafe für eine Sünde aus einem früheren Leben handele.
Die NGO Rainbow Community Kampuchea (RoCK) fand 2019 in einer Untersuchung heraus, dass 81 Prozent der Lesben, Bisexuellen und transidenten Personen emotionale Gewalt von ihrer Familie erfahren haben. Verfehlten diese Maßnahmen ihre Wirkung, würden die Kinder meist verstoßen, erklärt Sidara Nuon. Wie im Fall des Premierministers Hun Sen. Bei 35 Prozent der Betroffenen führt diese Form emotionalen Missbrauchs zu Selbstmordgedanken, zeigt die Studie.
Sind die Kinder bereits volljährig beim Coming-out, sind die Maßnahmen der Eltern noch radikaler. „Gerade Frauen werden vielfach in Ehen gezwungen“, sagt der Aktivist. Ein Teil der Motivation der Eltern sei dabei auch die eigene finanzielle Sicherheit im Alter, da in Kambodscha, wo das Konzept der Rente nicht existiert, die Familie der Kinder für die Pflege verantwortlich sind. In diesen Zwangsehen erleben 10 Prozent der LGBT sexuelle Gewalt, fand die Untersuchung von RoCK heraus.
Schwulsein in Myanmar
Handtaschenweitwurf und Wettrennen in Stöckelschuhen. Das sind Aufnahmen der Drag Queen Olympics in Yangon, in Myanmar. Dem Land, das umgangssprachlich auch Birma oder Burma bezeichnet wird und das in Südostasien immer noch zu den konservativsten zählt. Das Leben für LGBTQ+ Menschen hier ist alles andere als einfach.
A place to be yourself – LGBTQ in Kambodscha
Oftmals sind es aber nicht nur Einwirkungen von außen, mit denen LGBT in Kambodscha zu kämpfen haben, sondern auch internalisierte Homophobie, also den Selbsthass für die eigene sexuelle Identität. „Viele Schwule in Kambodscha glauben, sie verdienen es nicht besser, als sich als Sexarbeiter anzubieten, eben weil sie homosexuell sind“, erklärt der Australier Jason Argenta, der 2014 nach Siem Reap zog. Gemeinsam mit seinem Partner Tola An betreibt er das Café Krousar, zu dem auch das Projekt A place to be yourself (APTBY) gehört.
Hier haben Mitglieder der lokalen LGBT Community die Möglichkeit, in einem wertungsfreien Raum Informationen zu erhalten, miteinander in Kontakt zu kommen und sich auszutauschen. Dort sollen auch ein Bewusstsein und Feingefühl dafür geschaffen werden, welche Begriffe und Ausdrücke in Khmer als verletzend oder diskriminierend empfunden werden können, da es selbst innerhalb der LGBT-Community üblich ist, sich mit Schimpfwörtern zu titulieren.
Vergleichbare Workshops werden auch für Firmen und örtliche NGOs angeboten, wobei darüber in der Öffentlichkeit trotzdem meist Stillschweigen bewahrt wird. „Viele Unternehmen nehmen zwar an unseren Trainings teil, möchten jedoch nicht auf Facebook und andere sozialen Medien verlinkt werden“, erklärt der Aktivist. Zu groß sei die Sorge negativer Reaktionen in der Öffentlichkeit.
Schwul in Kambodscha
Ebenso bietet APTBY in Zusammenarbeit mit Kliniken und Ärzten vor Ort medizinische/psychologische Beratung, kostenlose Verhütungsmittel und HIV-Tests an. „Es besteht ein Misstrauen gegenüber Ärzten, dass diese, falls sie ebenfalls schwul sind, eventuelle Testergebnisse für sexuell übertragbare Krankheiten entgegen der ärztlichen Schweigepflicht innerhalb der Community verbreiten könnten,“ sagt Jason Argenta. Der Australier erklärt, selbst bei seinem eigenen Coming-out keine Probleme gehabt zu haben, sodass er nun anderen helfen will, ihre eigene sexuelle Identität zu akzeptieren. Sein Partner Tola An hingegen hat andere Erfahrungen gemacht.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
„Ich habe mich schon früh für Tanz interessiert und arbeite nun auch als Tänzer in Siem Reap. Mein Vater sähe es allerdings lieber, wenn ich einen ‚männlicheren‘ Beruf hätte.“ Auch habe er sich seinen Eltern gegenüber nie offiziell geoutet, obwohl er vermutet, dass seine Mutter Bescheid weiß. „Mein Vater fragt allerdings ständig, wann ich denn endlich heirate und ihm einen Enkel schenke.“ Jason halte er lediglich für einen engen Freund und selbst bei der Bekanntgabe, dass die beiden zusammen ein Haus bauen wollen, habe er davon gesprochen, dass die beiden Männer dann dort mit ihren zukünftigen Ehefrauen werden leben können. Außerhalb der großen Zentren Phnom Penh und Siem Reap dürfte diese Denkweise Standard sein.
Schwulsein in Vietnam
In Südostasien ist Homosexualität vielfach noch illegal und wird als Krankheit oder Bestrafung für Sünden in einem früheren Leben verstanden. Doch die LGBT-Aktivisten in Vietnam haben ihren eigenen Weg gefunden, um die Lage für die Community zu verbessern.
LGBTQ+ und schwule Reisende in Kambodscha
Zwar gab es in Kambodscha schon früh Bemühungen, internationale LGBT-Reisende ins Land zu locken, so beispielsweise mit der im Jahr 2011 gelaunchten Tourismus-Kampagne ‚Adore Cambodia!‘. Allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Gerade in der Stadt Siem Reap, wo sich auch das Café Krousar und APTBY befinden, zeigt sich die LGBT-Szene deutlicher als in der Hauptstadt Phnom Penh. Dort sind zwar auch Gay Saunas und Massagestudios zu finden, allerdings ist zu vermuten, dass sich der Markt dort eher an Sextourismus orientiert, als sich um die Stärkung der lokalen Community zu bemühen.
In Siem Reap hingegen haben mittlerweile zahlreiche Schwulen-Bars, Drag Shows und Men-Only Hotels eröffnet. Auch finden dort seit 2004 Pride-Veranstaltung statt, seit 2018 sogar auf jährlicher Basis im Mai. Eine Parade hat es allerdings bisher noch nicht gegeben.
Besonders durch Social Media zeige sich in den letzten Jahren jedoch eine positive Veränderung, bestätigen Tola An, Jason Argenta und Sidara Nuon. Dies betreffe aber vornehmlich junge Leute, die ohnehin offener und toleranter seien. Älteren Generationen hielten weiter an ihren konservativen Vorstellungen gegenüber LGBTQ+ und schwulen Männern in Kambodscha fest.
Do you like it? Pin it!
Reiseplanung: Auswärtiges Amt Kambodscha | Wikipedia LGBT rights in Cambodia | Cambodian Center for Human Rights
Wenn du mehr über Reisenews aus und Hintergrundberichte über die LGBTQ+ Community erfahren möchtest, dann folge Couple of Men ganz einfach auf Instagram, Twitter, YouTube, Pinterest und Facebook!