Der Libanon hat in der Region des Nahen Ostens den Ruf, von allen Ländern noch das Liberalste zu sein, wenn es um Homosexualität, Transgender und die LGBTQ+ Community im Allgemeinen geht. So war der Libanon beispielsweise im Jahr 2017 das erste Land in der arabischen Welt, wo Pride-Veranstaltungen (wie der Beirut Pride) stattfanden. Immerhin 4.000 Menschen nahmen damals daran teil. Bereits in den Jahren davor hatten verschiedene NGOs, wie Proud Lebanon und Helem, öffentliche LGBTQ+ Events organisiert. Das heißt aber nicht unbedingt, dass die Situation für LGBTQ+ im Libanon einfach ist. Denn sowohl das Gesetz als auch konservative Strömungen innerhalb der Gesellschaft machen es gerade schwulen Männern nicht leicht. Couple of Men Reporterin Sarah war als allein reisende Frau in dem arabischen Land unterwegs und hat sich ein Bild über die Lage der LGBTQ+ Community im Libanon machen können. Nach Georgien und Russland analysiert sie nun das Land zum Thema Schwul im Libanon für Couple of Men.
von Sarah Tekath
Lage der LGBTQ+ Community weltweit: Where to be gay?
Beirut: Schwule Party-Metropole im Nahen Osten
Welche Vorurteile es auch immer gegenüber dem Nahen Osten geben mag, Libanon passt in keines davon. Zwei Drittel der Bevölkerung des Landes sind Muslime, ein Drittel sind Christen. Insgesamt gibt es 18 religiöse Strömungen. Das bedeutet, auf den Straßen sieht man ebenso Shorts und kurze Röcke wie auch Kopftücher. In der Hauptstadt Beirut mischt sich alles und hier scheint die Devise zu gelten: leben und leben lassen. Allerdings sieht es ja in der Hauptstadt meistens immer etwas anders aus als im Rest vom Land.
Homosexualität nicht widernatürlich: Präzedenzfälle vor Gericht
Im Jahr 1990 folgte Libanon als erster arabischer Staat der Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation, Homosexualität nicht als Krankheit einzustufen. Es gibt außerdem im Land kein Gesetz, das Homosexualität explizit als illegal ausweist. Allerdings besteht nach wie vor Artikel 534 des libanesischen Strafgesetzbuches (aus der Zeit des französischen Mandats), der ‚widernatürliche‘ sexuelle Beziehungen verbietet. Neben Bußgeldern beträgt die Höchststrafe ein Jahr Gefängnis. Haftstrafen sind jedoch mittlerweile selten geworden. Individuelle Entscheidungen libanesischer Gerichte in den Jahren 2009, 2014 und 2017 urteilten sogar in insgesamt sieben Fällen, dass homosexueller Geschlechtsverkehr nicht widernatürlich und somit nicht illegal sei.
Gay Travel Index 2020/21
Die jährlich aktualisierte Rangliste des Gay Travel Index für 2021 von Spartacus informiert Reisende über die Situation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender in 202 Ländern und Regionen verteilt auf die ganze Welt. Welche Länder sind schwulenfreundlich? Wo müssen LGBTQ+ Reisende besonders aufpassen?
Auf diesem Wege wurden Präzedenzfälle geschaffen, d. h. andere Gerichte können sich darauf berufen, müssen es aber nicht. Besonders der Urteilsspruch aus dem Jahr 2017 gilt als Meilenstein, weil er Bezug auf einen Strafgesetzbuchartikel nimmt, nämlich Artikel 183, der besagt, dass niemand für das Ausüben eines Rechts verurteilt werden kann, solange dabei niemand anderes zu Schaden kommt. Anders gesagt wurde hier das Recht etabliert, die eigene Sexualität frei auszuleben.
LGBTQ+ NGOs im Libanon
Auch wenn es in Beirut, ebenso wie im Rest von Libanon, mehrere Organisationen gibt, die sich für die LGBT-Community einsetzen, besteht aufgrund von Konkurrenzdenken kaum eine Zusammenarbeit. Makso hat im Jahr 2013 die Organisation Proud Lebanon gegründet, mit dem Ziel, insbesondere Flüchtlinge aus Syrien und Irak aus der LGBT-Community zu unterstützen. Mittlerweile richtet sich das Augenmerk besonders auf diejenigen, die es sich nicht leisten können, ins liberale Beirut zu ziehen. Denjenigen bietet Proud Lebanon rechtliche, medizinische und psychologische Hilfe an. So produziert die Organisation etwa Videos gegen Homophobie mit bekannten libanesischen Persönlichkeiten. Beim ersten Video waren es 14 Teilnehmer, in 2016 waren es schon 21.
Weiter werden auch anonyme HIV-Tests angeboten, die in Zelten auf der Straße durchgeführt werden. HIV-Tests seien zwar auch im Krankenhaus möglich, weiß Dr. Ismael Maatouk, Dermatologe und Facharzt für sexuell übertragbare Krankheiten in Beirut, diese seien jedoch nicht anonym. Die NGO Lebanese Medical Association for Sexual Health (LebMASH), deren Mitglied Maatouk eine Zeit lang war, hat es sich zur Aufgabe gemacht, unter Medizinern in Libanon ein besseres Verständnis für psychologische Gesundheit im Zusammenhang mit sexueller Identität zu schaffen und organisiert dafür unter anderem die LGBT Health Week in Beirut.
Schwulsein in Myanmar
Handtaschenweitwurf und Wettrennen in Stöckelschuhen. Das sind Aufnahmen der Drag Queen Olympics in Yangon, in Myanmar. Dem Land, das umgangssprachlich auch Birma oder Burma bezeichnet wird und das in Südostasien immer noch zu den konservativsten zählt. Das Leben für LGBTQ+ Menschen hier ist alles andere als einfach.
Schwul im Libanon: Intoleranz & Ablehnung bleiben
Auch wenn der Gerichtsbeschluss von 2017 als ein wichtiger Schritt in Richtung der Abschaffung von Artikel 534 gesehen wird, so bleibt die Einstellung eines Großteils der Bevölkerung gegenüber LGBT konservativ. Ebenso erleben Mitglieder der LGBT-Community eine starke Stigmatisierung, mit etwa einem drohenden Job-Verlust im Fall eines öffentlichen Coming-outs.
Da eine Verurteilung gemäß Artikel 534 wegen widernatürlichem Sex auch fünf Jahre lang in der polizeilichen Akte vermerkt bleibt, kann dies zu Negativreaktionen bei Vorstellungsgesprächen führen, aber auch bei dem einfachen Versuch, einen Führerschein zu erhalten, weiß Bertho Makso, Gründer der LGBT-NGO Proud Lebanon. Auch wählen sei in diesem Zeitraum nicht möglich, da für diesen Zeitraum, bis der Eintrag wieder gelöscht wird, die Bürgerrechte entzogen werden.
Viele schwule Libanesen verzichten darauf, sich innerhalb ihrer Familie zu outen, da damit ein Verstoß aus der Familie einhergehen kann. Ein schwuler Bruder kann sich beispielsweise negativ auf die Zukunft der Schwestern auswirken. Starke traditionelle Werte, sowohl bei Christen als auch bei Muslimen, gelten nach wie vor – sowohl in Beirut als auch auf dem Land. Siehe auch Wikipedia Homosexualität im Libanon >
Schwulsein in Georgien
Der aktuelle Spartacus Gay Travel Index von 2019 stuft Georgien in seinem Ranking auf Platz 95 ein, mit einer Gesamtbewertung von -2. In Kategorien, wie gleichgeschlechtlicher Ehe, Antidiskriminierungsgesetzen oder Transgender-Rechten, schneidet das Land nur in einem einzigen Fall mit einer positiven Bewertung ab.
Sexuelle Aufklärung in Libanon
Auch wenn es immer von der individuellen Schule und dem mehr oder weniger liberalen Lehrplan abhängt, so bleibt sexuelle Aufklärung in Libanon meist jedoch auf ein Minimum reduziert. Verhütung, sexuell übertragbare Krankheiten und ungewollte Schwangerschaften gehören nicht zum Unterrichtsthema, meist wird in wenigen Stunden nur die Fortpflanzung abgehandelt. Proud Lebanon schließt Schulen jedoch bewusst von seinem Aufklärungs- und Informationsprogramm aus und kümmert sich erst um Personen ab 18 Jahren, um dem Vorwurf zu entgehen, Kinder ‚schwul zu machen‘. Minderjährige, die Hilfe suchen, unterstützt beispielsweise die Kinder- und Jugend-NGO Himaya.
Hinsichtlich der Aufklärung zum Thema Verhütung und sexuell übertragbare Krankheiten würden von der libanesischen Regierung, genauer dem Gesundheitsministerium, zum Welt-Aids-Tag zwar Informationsfilme produziert, die eine oder zwei Wochen lang auf allen Fernsehsendern zu sehen wären, allerdings seien diese selten länger als 20 Sekunden und würden nur Basis-Informationen, etwa zu Kondomen und Tests für Geschlechtskrankheiten zusammenfassen. „Meiner persönlichen Meinung nach muss die Thematisierung von sexuell übertragbaren Krankheiten und Safe Sex bereits in der Schule beginnen. Auf diesem Wege können wir positiven Einfluss darauf nehmen, wie Kinder und Jugendliche Sexualität sehen und so können wir eine liberale und tolerante Generation schaffen“, sagt Dr. Maatouk von LebMASH.
Trotzdem erkennt er einen positiven Wandel beim Wissen innerhalb der Gesellschaft. „In den letzten Jahren sind Fragen konkreter geworden. Die Patienten sind besser informiert. So fragen sie beispielsweise nicht mehr ‚Was ist HIV?‘, sondern ‚Wie kann ich mich davor schützen?‘.“ Oftmals bezögen sich diese konkreten Fragen auch auf das Spektrum sexueller Identität. Demnach würde eine Frage nicht mehr lauten ‚Warum ist jemand schwul?‘, sondern ‚Was kann ich für die Inklusion tun?‘. Ein weiterer positiver Effekt, so Dr. Maatouk, sei, dass immer weniger Männer in die Therapie geschickt werden würden, um deren Sexualität zu ändern.
Zensur von schwulen Szenen
Trotzdem ist Homosexualität in den öffentlichen Medien immer noch Tabu. Selbst bei internationalen Filmen oder Theaterstücken werden LGBT-Szenen zensiert. Schwule Dating-Apps, wie etwa Grindr, werden gesperrt und können einzig über Umwege mit VPN genutzt werden. Trotzdem schätzt Makso die libanesische Jugend als liberaler ein als die Vorgängergenerationen. Gerade deshalb hält er es für wichtig, auch bei den älteren Generationen anzusetzen und religiöse Wortführer für die Sache von LGBT zu gewinnen. Aktuell seien nämlich gerade Events wie der Gay Pride 2019 unterbunden worden, weil Religiös-Konservative sich an die Regierung gewendet haben, mit dem Hinweis, die Veranstaltungen würden die Moral der Gesellschaft gefährden, erklärt Dr. Maatouk.
Schwulsein in Russland
Auch wenn Homosexualität in Russland offiziell nicht illegal ist – seit 1993 sind gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen legal – so wurde jedoch im Jahr 2013 ein Gesetz verabschiedet, das es unter Strafe stellt, sich in Anwesenheit Minderjähriger positiv über Homosexualität zu äußern.
„Das Problem ist nicht nur das Gesetz, sondern auch die Gesellschaft“
Denn sowohl bei Christen als auch Muslimen in Libanon gibt es starke konservative Strömungen, die wenig bis gar kein Verständnis für Homosexualität aufbringen. Nicht selten ist es der Fall, dass Homosexualität immer noch als Krankheit verstanden wird oder als eine Störung, die beispielsweise durch Vernachlässigung in der Kindheit verursacht wird. LebMASH hat daher ein Video produziert, das erklärt, dass sexuelle Orientierung etwas ist, das weder therapiert werden kann noch muss.
Till, der eigentlich anders heißt, gehört zum Lebanese LGBT Media Monitor, einer Organisation, die Nachrichten rund um die Community sammelt und eine Plattform zum Austausch bietet, erklärt die ablehnende Haltung vieler gegenüber LGBT mit einer starken im Libanon vorherrschenden Macho-Kultur, in der der Mann immer als starker Anführer und Alpha-Tier angesehen wird und angesehen werden will. Dies zeige sich schon bei Diskriminierungen innerhalb der LGBTQ+ Community selbst. So mache es einen erheblichen Unterschied, wer beim Anal-Sex den aktiven Part übernimmt. Für viele gelte nur der Empfänger als schwul.
Schwule Reisende im Libanon
„Im Libanon ist die Existenz von LGBT möglich und Freiheit ist bis zu einem gewissen Grad gegeben, solange dadurch keine Provokationen hervorgerufen werden“, erklärt Makso. Ab 2003 organisierte er selbst geführte Reisen für Schwule in Libanon, aber auch Syrien und Jordanien, beendete das Angebot jedoch, als er mit Proud Lebanon startete. Trotzdem wurden seine organisierten Reisen in der Vergangenheit gerne genutzt. „Mit mir konnten schwule Reisende sie selbst sein. Sie mussten sich nicht verstellen.“ Schwule, die nach Libanon reisen wollen, sollten sich jedoch bewusst sein, dass das öffentliche Zeigen von Zuneigung zu Schwierigkeiten führen kann. Selbst in Gay Bars oder Gay Clubs werden Küsse und Körperkontakt unterbunden.
Reiseplanung: Auswärtiges Amt | Gay Reiseführer Nomadic Boys (Hotels & Bars)
Schwulsein in Vietnam
In Südostasien ist Homosexualität vielfach noch illegal und wird als Krankheit oder Bestrafung für Sünden in einem früheren Leben verstanden. Doch die LGBT-Aktivisten in Vietnam haben ihren eigenen Weg gefunden, um die Lage für die Community zu verbessern.
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Schwul im Libanon: langsamer Wandel in der Gesellschaft hin zu mehr Toleranz & Akzeptanz
„Schwulsein in der arabischen Welt ist nicht das Gleiche, wie beispielsweise Schwulsein in den Niederlanden. Die Gesellschaft spielt auch immer eine Rolle, ebenso wie die Religion und die eigene Familie“, sagt Bertho Makso. Trotzdem würde sich die Gesellschaft derzeit – wenn auch langsam – wandeln und mehr berühmte Persönlichkeiten würden öffentlich Stellung beziehen. Noch vor wenigen Jahren wäre es nicht möglich gewesen, an politische Parteien heranzutreten und (zumindest inoffiziell) eine positive Reaktion und Zuspruch zu erhalten. Eine Diskussion sei also bereits im Gange, jedoch noch nicht in der Öffentlichkeit – weil die Zeit dafür noch nicht reif sei, denn viele Politiker würden noch um ihre Wähler fürchten.
Trotzdem, so Makso, würden besonders die vereinzelten Fälle von Gerichtsentscheidungen zugunsten der LGBT-Community genutzt, um Libanon als gay-friendly darzustellen. Denn letztendlich hat Beirut ja international den Ruf einer schwulen Metropole im Nahen Osten.
Fotoquelle: Pixabay | Unsplash
Infoquelle: GayStarNews | Queer.de | Spiegel | Wikipedia
Karl & Daan.
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