Ein Kuss und ein Mord. So lassen sich die jüngsten Ereignisse in Russland in der LGBT-Community zusammenfassen. Die bekannte LGBTQ+ Aktivistin Yelena Grigoriyeva war Mitte Juli in St. Petersburg tot aufgefunden worden, mit mehreren Stichwunden in der Brust und Anzeichen auf Strangulierung. Zuvor hatte Grigoriyeva mehrere Todesdrohungen erhalten, nachdem ihr Name auf einer Liste einer mittlerweile blockierten Webseite aufgetaucht war, die zur Jagd auf sexuelle Minderheiten und deren Unterstützer aufgerufen hatte. Ende Juli hatte die deutsche Band Rammstein im Rahmen eines Konzerts in Moskau vor 83.000 Zuschauern ein deutliches Zeichen gegen Homophobie gesetzt. Hatten die Musiker vorher bei einem Auftritt in Polen nur eine Regenbogenfahne geschwenkt, so gingen sie in Russland noch einen Schritt weiter. Richard Z. Kruspe und Paul Landers von Rammstein küssten sich auf der Bühne auf den Mund. Ein starkes Statement, das in diesen Tagen in Russland nötig scheint. Mehr über das Schwulsein in Russland hier auf Couple of Men.
von Sarah Tekath
Lage der LGBTQ+ Community weltweit: Where to be gay?
Ein Gesetz zum Verbot der Propagierung von Homosexualität
Auch wenn Homosexualität in Russland offiziell nicht illegal ist – seit 1993 sind gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen legal – so wurde jedoch im Jahr 2013 ein Gesetz verabschiedet, das es unter Strafe stellt, sich in Anwesenheit Minderjähriger positiv über Homosexualität zu äußern. Offiziell hat dies den Schutz Minderjähriger zum Ziel. Dies verbietet beispielsweise auch Lehrern, Ärzte und Therapeuten, Jugendliche aufzuklären und emotional zu unterstützen. Da bleibt also oftmals nur die Möglichkeit, Informationen im Internet suchen. Das soziale Netzwerk der Aktivistin Lena Klimova mit dem Namen Deti 404 (Kinder 404 – in Anlehnung an die Internetfehlermeldung Error 404 -Page not found), hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine Plattform zur Diskussion von LGBTQ+ Themen aufzubauen. Die offizielle Webseite ist mittlerweile wieder offline, Deti 404 besteht aber in VKontakte, dem russischen Facebook, weiter.
Image of #Putin made up like a gay clown banned in #Russia as "extremist" material https://t.co/6fT1dbWvTu pic.twitter.com/M9Bu7W5Fhb
— The Art Newspaper (@TheArtNewspaper) April 7, 2017
Auch im Jahr 2019 ist die Situation kritisch. Anti-Diskriminierungsgesetze bestehen weiterhin nicht. Im Fall von Straftaten wird die Sexualität des Opfers nicht als zu bewertender Faktor hinzugezogen und auch Entlassungen aufgrund der sexuellen Orientierung werden nicht geahndet. Ein großer Teil der Bevölkerung steht Homosexualität kritisch gegenüber. So ergab auch eine Umfrage des unabhängigen Levada Centers im Mai 2019, dass bei der Wahl möglicher Nachbarn ein gleichgeschlechtliches Paar am allerwenigsten bevorzugt werden würde. Im März desselben Jahres sprach die Politikerin Tamara Pletnyova von Homosexualität als einer Krankheit, die kuriert werden müsse – selbst wenn Homosexualität im Jahr 1990 von der WHO Liste der Geisteskrankheiten entfernt wurde.
Gay Travel Index 2020/21
Die jährlich aktualisierte Rangliste des Gay Travel Index für 2021 von Spartacus informiert Reisende über die Situation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender in 202 Ländern und Regionen verteilt auf die ganze Welt. Welche Länder sind schwulenfreundlich? Wo müssen LGBTQ+ Reisende besonders aufpassen?
Gewalt durch radikale Gruppen
Im Jahr 2014 wurden die Aktivitäten des russischen Neonazis Maksim Martsinkevich bekannt, der im Rahmen seiner Kampagne ‚Occupy Pedophilia‘ Jagd auf schwule Männer machte, sie vor laufender Kamera quälte, demütigte und das Material anschließend online stellte. Genutzt wurden Dating-Apps, um die Männer an einen bestimmten Ort zu locken. Die Übergriffe erfolgten unter dem Vorwand, dass die Opfer pädophil seien. Wenn auch nicht im Zusammenhang mit Martsinkevich, so zeigt doch ein Fall aus der Stadt Volgograd im Jahr 2013 die Bedrohungen, denen Mitglieder der LGBTQ+ Community ausgesetzt waren. So wurde der 23-jährige Vladislav Tornoi tot aufgefunden. Die Autopsie ergab, dass der Mann mit mehreren Bierflaschen vergewaltigt wurde und den Verletzungen erlag. Tornois Familie dementierte später dessen Homosexualität. Auch berichtet die Oppositionszeitung Novaya Gazeta im April 2017 von einem Anstieg der Gewalt und zahlreichen Fällen des Verschwindens von LGBT-Menschen in der Region Tschetschenien. Internationale Medien berichteten vermehrt von Konzentrationslagern für schwule Männer.
Gay Pride in Russland
Eine Gay Pride Parade hat bisher in Russland offiziell noch nicht stattgefunden – Events ereignen sich immer ohne Autorisierung. Im Jahr 2010 verhängt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte daher eine Geldstrafe wegen Diskriminierung. Trotzdem wurde nach 100 individuellen Anfragen einer Gay Pride Parade im Jahr 2012 in Moskau keine Genehmigung erteilt. Als Begründung wurden mögliche Angriffe auf die Teilnehmer genannt. Auch eine Gay Pride Parade, angemeldet durch LGBTQ+ Aktivist Nikolay Alexeev, wurde nach erstmaliger Bestätigung durch den Bürgermeister von Strezhovoy widerrufen, mit der Erklärung, dass Kinder das Ereignis sehen könnten. Im vorherigen Jahr hatte Alexeev versucht, eine Parade in der Stadt Yablonevy durchzuführen, aber auch dies wurde innerhalb von 24 Stunden untersagt. Die Stadt hatte übrigens zu dem Zeitpunkt sieben Einwohner.
Schwulsein in Russland - die Lage der LGBTQ+ Community in Russland
Schwulsein in Georgien
Der aktuelle Spartacus Gay Travel Index von 2019 stuft Georgien in seinem Ranking auf Platz 95 ein, mit einer Gesamtbewertung von -2. In Kategorien, wie gleichgeschlechtlicher Ehe, Antidiskriminierungsgesetzen oder Transgender-Rechten, schneidet das Land nur in einem einzigen Fall mit einer positiven Bewertung ab.
LGBTQ+ Aktivismus in Russland
Auch wenn die Lage für LGBTQ+ Menschen in Russland schwierig ist, so gibt es doch gerade in den Städten Moskau und St. Petersburg, aber auch in Jekaterinenburg trotzdem NGOs, die sich für Gleichberechtigung und Aufklärung einsetzen. So startete etwa Pavel Loparev vor einigen Jahren das Projekt Illuminator, das auf einer Webseite mit kurzen Videos alle wichtigen Fragen zu Homosexualität, Transgender, sexuell übertragbaren Krankheiten etc. beantwortet. Diese Webseite richtet sich speziell an Eltern von LGBT-Teenagern, die sich informieren wollen. Im Rahmen des Projekts werden auch Erfahrungsberichte von Elternteilen gezeigt, „mit denen andere Mütter sich verbunden fühlen können“, wie Loparev erklärt. Die Ursache für die oftmals konservative Haltung vieler Russen sieht Loparev im Staatsfernsehen begründet. So habe es in der Vergangenheit Fernsehkampagnen gegeben, die Verschwörungstheorien von Schwulen als westliche Spione verbreiteten, die zum Ziel hätten, russische Werte zu untergraben. Viele Russen würden, so der Aktivist, kategorisch alles ablehnen, was mit dem Westen in Verbindung gebracht werde. Mittlerweile arbeitet Loparev im Rahmen seines Projekts Illuminator aber auch mit Personen zusammen, die nicht aus der LGBTQ+ Community stammen und erstmals Kontakt mit diesem Thema haben, sich aber dafür einsetzen wollen.
Schwulsein in Russland
Homo-Ehe in Russland?
Gleichgeschlechtliche Ehe in Russland, ist es möglich? Obwohl die Ehe des schwulen Paares Pavel & Evgenii auch in Russland offiziell bestätigt wurde, folgten Probleme für sie und ihre Familien. Couple of Men Reporterin Sarah hatte die Gelegenheit, das mutige schwule Paar zu interviewen. Das Interview jetzt auf Couple of Men!
]Auch das LGBT Network in St. Petersburg bietet LGBTQ+ Menschen seine Unterstützung an, mit Informationsveranstaltungen, Notfallhilfe gerade für Tschetschenien, wenn ein Verlassen der Region nötig wird, aber vornehmlich auch mit Rechtsbeistand. Alexander Belik arbeitet als Jurist bei LGBT Network Russia und vertritt LGBTQ+ Personen im Fall von etwa schwulenfeindlicher Gewalt. So berichtet er, dass kürzlich ein Fall von homophoben Hasskommentaren vor Gericht zugunsten der LGBT Community entschieden wurde. Zuvor wurde der Artikel des russischen Strafgesetzbuches noch nie im Zusammenhang mit sexueller Diskriminierung verwendet. Trotz lokaler positiver Entscheidungen für die LGBTQ+ Community gäbe es aber immer noch Störungen durch homophobe Personen und Gruppierungen, so etwa Ende August 2019 bei dem Theaterstück Coming out of the closet. Häufig beriefen sich die Täter dann auf das Anti-Propaganda-Gesetz, wobei dieses jedoch nur für Minderjährige gelte, so Belik. Häufiger als körperliche Gewalt käme es jedoch vor, dass legale Maßnahmen gegen LGBT-Aktionen vonseiten des Staates erfolgen würden. Versammlungen würden so beispielweise abgebrochen oder Webseiten ohne vorherige Warnung offline genommen.
Schwulenfreundliche Unterkunft in St. Petersburg
Kurz nachdem wir Sarahs Artikel veröffentlicht hatten, wurden wir von Aleksandr kontaktiert. Er besitzt ein Airbnb in St. Petersburg, das einen sicheren Ort für LGBTQ+ Reisende in Russland bietet. Über sich und sein Airbnb sagt er auf seiner Seite: "Als Mitglied der Community möchte ich allen, die meine Stadt von der Regenbogenseite aus sehen wollen, zeigen, dass es in St. Petersburg viele sichere und gute Orte für die LGBTQ-Community gibt, wo man auch als LGBTQ+ Reisender eine gute Zeit haben kann." Obwohl wir noch nicht in St. Petersburg waren, haben wir ihn gerne hier bei Couple of Men aufgenommen, um seine Bemühungen zu unterstützen, Russland zu einem sicheren Ort für Lesben, Schwule, Bi, Trans- und Queer Menschen zu machen. Schaut euch seine Reviews an. Alles Gute für dich, Aleksandr und hoffentlich können wir dich auch einmal persönlich kennenlernen! Hier geht es zu seinem Airbnb>
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Internationaler Druck auf Russland wegen Diskriminierung & Menschenrechtsverletzungen
Trotzdem sieht Anwalt Belik die Zukunft für LGBT-Menschen in Russland positiv. So sei Russland im Allgemeinen nicht, wie häufig vermutet, ein Ort, an dem schwule Männer in Lebensgefahr schweben, sobald sie sich auf der Straße zeigen. Sicher gäbe es Anfeindungen, aber diese seien auch etwa in Polen, Litauen oder in der Ukraine zu finden.
Weiter glaubt er an die positive Wirkung von internationalem Druck, der beispielsweise durch die EU oder die UN auf die Regierung ausgeübt werde und beruft sich dabei auf die russische Politikwissenschaftlerin Ekaterina Schulmann. So habe Russland bisher Gerichtsurteile, etwa vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, wegen Diskriminierung etc. hingenommen und habe die Geldstrafen entsprechend beglichen. Zwar gäbe es kurz nach der Urteilsfindung immer großspurige Reden in der Öffentlichkeit, dass man den Anweisungen des Westens niemals Folge leisten würde, im Nachhinein würde es aber dann heimlich doch geschehen. „Ich hoffe, der internationale Druck wird schnell und effektiv sein, damit Russland frei sein kann“, erklärt Belik. Schließlich sei es egal, ob es dann am Ende im Hinterzimmer passiere, solange überhaupt etwas passiere. Schwulsein in Russland halt.
Fotoquelle: Pixabay | Unsplash
Infoquelle: Independent | Pink News | Spiegel | Moscow Times | Jetzt.de | IB Times
Karl & Daan.
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